Kreiskonferenz am 9. April 2014 mit guter Resonanz

Soziale Themenstellungen im Mittelpunkt – Kritik an Landespolitik

Zu den Hauptaufgaben der Landkreise gehört die soziale Absicherung in vielen Lebenslagen. Der Kreis Esslingen steht in dem Ruf, eine überdurchschnittliche Präventionspolitik zu machen. Dies schlägt sich in deutlich reduzierten Sozialhilfeleistungen nieder. In ihrer Kreiskonferenz am 9. April 2014 in Esslingen-Berkheim widmeten sich Kreistagsfraktion und Kreisverband der aktuellen Herausforderung „Fürsorge für die älter werdende Bevölkerung“. Hauptreferentin war Frau Ingrid Hastedt, die Vorsitzende des Wohlfahrtswerks Baden-Württemberg. „Soziale Verantwortung im Landkreis Esslingen“ hatte sich Frank Buß, der Vorsitzende des Kreisverbands zum Thema gemacht.

Deutliche Kritik an der Politik der grün-roten Landesregierung übte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Bürgermeister Bernhard Richter. Lesen Sie hier seine Worte im Klartext.

In einer bemerkenswerten Analyse der Situation älterer Menschen und einem Blick in die Zukunft einer Generation, die mehr und mehr Wert darauf legt, den Lebensabend eigenverantwortlich zu regeln, fesselte Frau Hastedt die zahlreich erschienen Zuhörerinnen und Zuhörer. Sie können hier einen Blick auf Ihren Power-Point-Vortrag werfen.

Einen umfassenden Ansatz der sozialen Aufgabenstellung des Landkreises wählte der Sozialexperte der Fraktion, Bürgermeister Frank Buß aus Plochingen:

Der Sozialhaushalt hat mit Gesamtausgaben von rund 214 Mio. € einen Anteil von etwa 47% am Gesamtvolumen des Kreishaushaltes. D.h. fast jeder zweite Euro wird für Soziales ausgegeben. Berücksichtigt man die laufenden Zuwendungen und Zuschüsse des Bundes, des Landes oder Dritter bleibt ein Nettoaufwand von knapp 148 Mio. €.

Insbesondere die Hilfen für Flüchtlinge und Aussiedler sowie steigende Anforderungen bei der Jugendhilfe bergen erhebliche Finanzierungsrisiken. Da der überwiegende Teil der Sozialleistungen gesetzlich geregelt sind, gibt es wenige eigene Handlungsspielräume.

In partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den kirchlichen, sozialen und freien Trägern werden viele Felder qualitativ hochwertig und effizient bearbeitet. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Ideen und Wünsche, die mit Blick auf die kreisweite Wirkung und damit auf die Folgekosten kritisch bewertet werden müssen. Deshalb haben wir die Hürde für neue Freiwilligkeitsleistung hoch gehängt.

Der Landkreis Esslingen beschäftigt im Sozialbereich rund 440 Mitarbeiter, die in allen Bereichen der Sozialverwaltung inklusive Jobcenter und bei den verschiedenen sozialen Diensten beschäftigt sind. Außerdem unterstützt der Landkreis Esslingen finanziell die vielfältigen Angebote der kirchlichen und freien Träger mit ihren zahlreichen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern.

Ich möchte Ihnen an einigen Themenfeldern aufzeigen, wie engmaschig das Hilfenetz ist, wobei dies mit Blick auf die Zeit nur schlaglichtartig möglich ist:

Der Ausbau der Kinderbetreuung war in den letzten Jahren das beherrschende kommunalpolitische Thema.

Gerade im Ballungstraum ist der Druck der Eltern und aus der Wirtschaft groß.

Deshalb ist der weitere bedarfsgerechte Ausbau in vielen Städten und Gemeinden zu erwarten. Der Ausbau der Kinderbetreuung ist gesellschaftspolitisch richtig, denn nur so kann Beruf und Familie vereinbart werden. Explodierende Ausgaben und ein kaum mehr zu bewältigender Fachkräftemangel belasten die Städte und Gemeinden immer stärker und gefährden ihre finanzielle Leistungsfähigkeit.

Ein Ärgernis ist die drastische Absenkung der Landesförderung ab 2014 landesweit um über 100 Mio. €. Eine Neuberechnung führt dazu, dass in vielen Städten die zugesagte Förderquote von 68% deutlich unterschritten wird. Bei Ganztagesangeboten mit langer Öffnungszeit erreicht die Förderung nicht einmal mehr 50%. Da die Kinderbetreuung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, darf sich die grün-rote Landesregierung nicht vom Acker schleichen: sie gefährdet sonst die Erfolge beim Ausbau der Kinderbetreuung!

Die Freien Wähler im Landkreis Esslingen fordern seit Jahren einen Kreisbildungsplan, weil gute Bildungschancen die Grundlage für soziale Gerechtigkeit und wirtschaftlichen Wohlstand sind. Leider wurde dies bislang blockiert. Die regionale Schulentwicklung bietet nun die Chance, wichtige Inhalte des Kreisbildungsplans doch noch voranzubringen.  Leider steht die Kreisverwaltung auch bei diesem Thema auf der Bremse und überlässt dem Staatlichen Schulamt das Führerhaus. Gute schulische Ausbildung braucht jedoch gut vernetzte, stimmige Schulstrukturen auf kommunaler und Kreisebene. Hierfür werden wir uns weiter einsetzen.

Der Kommunalverband für Jugend und Soziales hat im Zuge einer Bewertung der Jugendhilfe dem Landkreis Esslingen ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt. Trotz schwieriger Sozialstrukturen ist der Grundsatz „ambulant vor stationär“ sehr konsequent umgesetzt worden, sodass der Anteil der Jugendlichen in Betreuungseinrichtungen auffallend niedrig ist. Dies darf als Erfolg des umfassenden Präventions- und Beratungsangebot und einer guten Gesamtkonzeption gewertet werden. Es ist jedoch nur eine Momentaufnahme und kein Grund zur Selbstzufriedenheit.

Die Angebote müssen kontinuierlich weiterentwickelt werden. Weiter gibt es Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Lebensverhältnissen, die Hilfebedarf haben. Bei SGB-II-Bezug, Pacht-Work-Familien und Migrationshintergrund steigt der Hilfebedarf signifikant und empirisch nachgewiesen. Deshalb weist Dr. Bürger explizit darauf hin, dass insbesondere beim Allgemeinen Sozialen Dienst personeller Handlungsbedarf besteht. Dies muss uns hellhörig machen.

Aktuell sinken die Fallzahlen und trotzdem steigen die finanziellen Aufwendungen. Es zeigt sich das Dilemma der Sozialpolitik: Hilfebedarf und Ressourcen entwickeln sich diametral. Risiken für künftige Haushalte zeichnen sich ab.

Durch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung soll gesichert werden, dass behinderte Menschen ein selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft führen und unter anderem das Recht auf eine gute Bildung haben. Allerdings dreht sich die öffentliche Diskussion fast ausschließlich um die Inklusion in der Schule und blendet vielfältige Facetten aus. Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben und Teilhabe an der Gesellschaft ist ein durchgreifender Bewusstseinswandel bei jedem Einzelnen. Inklusion ist kein Thema für Zuschauer, sondern des Mitmachens und damit ein Thema der kommunalen Daseinsvorsorge und der örtlichen Gemeinschaft. Viele gute Projekte in unseren Städten und Gemeinden geben hiervon Zeugnis.

Die grün-rote Landesregierung hat sich eine durchgreifende Änderung des Schulgesetztes als Initialzündung für Inklusion auf die Fahnen geschrieben. Dabei geht es nicht nur um strukturelle Fragen wie der Zukunft der Förder- und Sonderschulen, sondern auch um die Finanzierung der Integrationsfachkräfte. Es ist verfassungsrechtlich möglich, dass Schulgesetz so zu gestalten, dass Inklusion in der Schule ohne Griff in die Kassen von Sozial- und Jugendhilfe geht. Insbesondere die Grünen gehen jedoch den Weg, sich auf Kosten der Landkreise und Kommunen zu profilieren. Mit Blick auf den eigenen Haushalt bleibt die Landesregierung bei diesem Thema alles schuldig, ein Versagen ohnegleichen!

Seit 2005 ist die Zahl der Leistungsberechtigten mit Behinderung um knapp 25% auf 2.235 Personen im Jahr 2012 gestiegen. Der Nettoaufwand ist seit 2005 um über 36% auf knapp 60 Mio. € gestiegen. Die Kommunen und Landkreise stehen bei dieser wichtigen Aufgabe mit dem Rücken an der Wand.

Im Rahmen der Umsetzung des Fiskalpakts zwischen Bund und Ländern wurde vereinbart, die bisherigen Leistungen der Eingliederungshilfe durch ein Bundesleistungsgesetz abzulösen und den Bund an diesen Kosten zu beteiligen. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung gehört dieses Bundesleistungsgesetz für behinderte Menschen zu den „prioritären Maßnahmen“. Dabei sollen Kommunen und Landkreise um 5 Mia. € jährlich entlastet werden, bis zur Verabschiedung des Gesetzes soll eine jährliche Sofortentlastung in Höhe von 1 Mia. € geleistet werden. Nun möchte die Bundesregierung die volle Entlastung erst ab dem Jahr 2018, also erst nach dieser Wahlperiode, leisten. Die Sofortentlastungen sollen mit der weiteren Kostenübernahme bei der Grundsicherung für Ältere und Erwerbsgeminderte gegengerechnet werden.

Es ist skandalös, wie die Bundesregierung ihre Zusagen an die Kommunen bricht und uns finanziell im Regen stehen lässt.

Doch auch bei den älteren Menschen besteht weiter Handlungsbedarf, den Frau Hastedt deutlich erläutert hat. Lassen Sie es mich noch etwas konkretisieren: Im Landkreis Esslingen wird der Personenkreis der über 75 Jährigen bis 2020 um 32% steigen, bis 2030 sogar um 42%. D.h., 2020 werden knapp 60.000 Menschen im Landkreis 75 Jahre und älter sein, im Jahr 2030 sogar rund 64.000. Wir müssen uns auf einen weiter steigenden Pflegebedarf einrichten.

Das Statistische Landesamt geht davon aus, dass die Zahl der Pflegenden bis 2030 um 43% auf knapp 250.000 Menschen landesweit steigt. Für den Landkreis Esslingen würde dies ein Anstieg von rund 10.800 auf 15.500 Pflegebedürftigen bis 2030 bedeuten. Dies müssen wir in den nächsten Jahren strukturiert entwickeln, da der Pflegebedarf weiter steigt und ortsnahe Angebote notwendig sind.

Unverzichtbar ist der weitere Ausbau der stationären und teilstationären Pflege. Die Kreisverwaltung prognostizierte im Mai 2012 einen ansteigenden Bedarf von 3.740 Pflegeplätzen auf 5.760. Zu den bestehenden 63 Pflegeheimen bedeutet dies Investitionen in 25 – 35 neue Pflegeheime, bei gleichzeitigem Abbau bestehender Betten durch den Umbau von Zwei-Bett-Zimmern in Ein-Bett-Zimmer. Dies ist aber auch ein Markt für Investoren und private Pflegedienstleister, der vom Landkreis und den Kommunen bestmöglich gesteuert werden muss – Eine große Herausforderung!

Darüber hinaus müssen neue Wohnformen wie Generationenwohnen, Leben in Wohngruppen mit und ohne Demenzkranke implementiert und gefördert werden. Hier muss der Landkreis Esslingen mit seinen Städten und Gemeinden seine Vorreiterrolle behalten. Da Frau Hastedt dieses Thema bereits ausführlich beleuchtet hat, verzichte ich auf weitere Ausführungen hierzu.

Da die meisten Menschen möglichst lange zuhause leben wollen, war es im richtig und wichtig, einen Schwerpunkt der Angebotsentwicklung auf den ambulanten Bereich zu legen. Die Fachberatungsstelle für Altenhilfe und der Kreispflegeausschuss waren immer wieder Impulsgeber für den Landkreis, der immer wieder an der Spitze von Entwicklungen stand. Wir Freien Wähler haben die Entwicklungen der letzten Jahre entscheidend mitgeprägt.

In guter Zusammenarbeit mit den Akteuren vor Ort wurde eine breitgefächerte, ambulante Angebotspalette entwickelt, mit hauptamtlichen Kräften bei Kommunen und kommunalnahen Organisationen wie den Pflegestützpunkte, den IUK-Stellen oder den Sozial- und Diakoniestationen. Ergänzt werden diese hauptamtlichen Strukturen durch privatwirtschaftliche Dienstleister im Pflege- und Medizinbereich. So sind im Landkreis derzeit 80 Pflegedienste. Prognostiziert wird bis 2030 ein zusätzlicher Bedarf an ambulanter Pflege um über 50% auf rund 3.600 Pflegebedürftige.

Politisch entscheidend ist deshalb, wie durch entsprechende Angebote Pflege vermieden bzw. hinausgezögert werden kann. Jeder möchte möglichst lange in den eigenen vier Wänden bleiben. Diesem Ziel folgt die Altenhilfeplanung mit Projekten wie „Betreutes Wohnen zuhause“, der Wohnberatung oder den B.U.S. – Gruppen (Bewegen Unterhaltung Spaß). Hinzukommen zahlreiche ehrenamtliche Angebot, wie Besuchsdienste, niederschwellige Betreuungsangebote oder Initiativen der Präventions- und Suchthilfe im Alter.

Ausgangspunkt war häufig das Volunteers-Projekt Anfang der 90-ger Jahre des letzten Jahrhunderts. Dies muss für die Zukunft weiterentwickelt werden: Ziel müssen kleinräumige, dezentrale und mobile Unterstützungs- und Versorgungsstrukturen sein, die Platz für ehrenamtliches Engagement bieten. Hinzu kommen vor Ort barrierefreie, bezahlbare Wohnangebote in zentraler Lage sein, die durch passende Beratungs- und Dienstleistungsangebote ergänzt werden müssen. Dieses Thema muss interdisziplinär gedacht werden, da städtebauliche Themen genauso wichtig sind wie sozialräumliche Betrachtungen.

Es sind vor allen kommunale Themen der Daseinsvorsorge. Hier sind wir Freien Wähler im Kreistag, in den 44 Gemeinderäten, in den Ortschaftsräten und in unseren weiteren Ehrenämtern gefordert. Wir müssen Verantwortung übernehmen für die Schwachen, um Solidarität in unserer Gesellschaft konkret zu schaffen. Zur Solidarität gehört jedoch auch Generationengerechtigkeit, d.h. die sozialen Leistungen müssen mittel- und langfristig bezahlbar bleiben.

Deshalb stehen wir im Kreistag für eine nachhaltige Sozialpolitik für Kinder und Jugendliche, Familien sowie für hilfebedürftige und ältere Menschen mit hoher Qualität, zahlreichen guten Angeboten und einer dauerhaften Finanzierbarkeit.

 

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